Spice & Co.: ein Ex-Dealer packt aus

Ein Spice-Dealer packt aus
Symbolbild

Spice und Co. dürften jedem Cannabisfreund zumindest ein Begriff sein. Immer wieder geistern Meldungen von Todesfällen und „Spice-Zombies“ durch die Presse. Doch was ist dran an den Horrornachrichten? Wie steht es mit der angeblichen Legalität der Substanzen? Woher kann man Spice & Co. kaufen? Und wie kommt man überhaupt auf die Idee, sich so etwas reinzupfeifen? Um Antworten auf diese und weitere Fragen zu erhalten, hat Highway sich mit einem auskunftswilligen Szene-Aussteiger, der verständlicherweise anonym bleiben möchte, zum Interview getroffen

Wie bist du dazu gekommen, Spice und andere sogenannte Legal Highs zu verkaufen?

Ich war jahrelang als Leiharbeiter für verschiedene Unternehmen tätig, was wirklich unmenschlich war, aber das ist eine ganz andere Geschichte. Als ich dann damals von NRW in die Pfalz gezogen bin, hatte ich durch eine Bekannte die Möglichkeit, mich als Subunternehmer in dieser Branche selbständig zu machen. Ich wollte so etwas eigentlich nie machen, da es gegen meine Moral verstößt, aber ich hatte Verpflichtungen und musste mich, auch finanziell, um meine schwerkranke Frau kümmern.

Wieso gehst du mit deiner Story jetzt an die Öffentlichkeit?

Das hat viele Gründe, schlechtes Gewissen einerseits, aber ich habe auch eine Vision und möchte etwas verändern, denn zu allem Überfluss werden diese synthetischen Cannabinoide auch immer stärker. Ich will eine kontrollierte Abgabe von sauberem Cannabis. Denn gäbe es den Legal-High-Markt nicht, hätten wir eine gesündere Drogenpolitik und würden viele Todesfälle vermeiden. Ich will etwas bewirken in diesem Land und versuchen, wieder etwas von meiner Vergangenheit gutzumachen. Irgendwie bin ich das den Leuten schuldig. Daher setze ich mich nun auch für die Cannabis-Legalisierung, aber auch sehr stark den normalen Verkauf von CBD-Gras ein.

Wie lange hast also bei so einem Online-Shop für Räuchermischungen alias Legal Highs gearbeitet? Gibt es viele solcher Online-Shops, in denen man Spice und Konsorten kaufen kann?

Wie lang es genau war, weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr genau. Meine Gesundheit hat sehr drunter gelitten, da ich auch selbst konsumiert habe und ich habe immer noch mit den Nebenwirkungen zu kämpfen, die mich mein Leben lang begleiten werden. Ich schätze, ich habe etwa sechs Jahre für einen bzw. mehrere Online-Shops gearbeitet – bis letztes Jahr dann das LKA bei mir vor Ort war. Es gibt sehr, sehr, sehr viele dieser Shops, allein in Deutschland, in Sekundenschnelle bei Google gefunden.

Kannst du uns einen groben Überblick über die Legal-High-Szene in Deutschland geben?

Das würde hier, selbst nur ganz grob erläutert, den Rahmen sprengen. Die Szene ist allein in Deutschland seit fast zwei Jahrzehnten im Gange und erwirtschaftet monatlich Beträge in Millionenhöhe, die größtenteils über Offshore-Firmen abgewickelt werden, um Steuern zu sparen oder gar nicht zu bezahlen. Sogar Politiker sind mit involviert und Angestellte des Bundesgesundheitsministeriums – und das sage ich nicht aus Spaß. Ein sehr komplex aufgebautes System, mit dem ich mich offiziell nicht anlegen möchte, da ich keine Lust auf Zeugenschutzprogramm habe, falls es überhaupt helfen würde.

Wie hoch würdest du die Zahl der Konsumenten von Spice und Co. deutschlandweit schätzen?

Ich würde diese leider auf ein paar Hunderttausend schätzen.

Inwieweit spielen die Niederlande eine Rolle im Business?

Die Niederlande spielen keine große Rolle mehr, da die Wirkstoffe meist aus Asien bezogen werden, direkt wo die Labore stehen, oder aber aus dem Osten. Die Niederlande als Zulieferer sind lange Vergangenheit, da bezieht man großteils echtes Cannabis. Aber früher war das anders. Der Markt ist jetzt aber in ganz andere Welten aufgestiegen.

Wie viel kostet ein Gramm Spice und wie lange kommt man damit etwa aus?

Unterschiedlich, je nach Stärkegrad und natürlich nach Größe der Bestellung, von 2,50 bis 6 Euro. Fünf Gramm kosten je nach Shop etwa 30 Euro zuzüglich Versand, in der Regel per Nachname. Eine Packung reicht bei vielen nur ein bis zwei Tage, je nach Konsument.

Wie sah dein Durchschnittskunde aus und wie groß war dein Kundenkreis etwa?

Ich habe von 18 bis 65 Jahren alle Alterststufen erlebt, auch was die Berufe angeht, war alles querbeet dabei, Arbeiter, Ärzte, Lehrer… Ich bediente alleine bis zu 250 unterschiedliche Käufer täglich, aber es gab auch Tage mit weniger Zulauf. Und der Shop, für den ich gearbeitet habe, war noch relativ klein. Ich habe als Subunternehmer fast alles alleine machen müssen, für die Entlohnung eines gut bezahlten Angestellten, mehr war es nicht nach Steuern und so weiter. Ich weiß, ich war dumm.

Wie sah dein Arbeitsalltag für den Online-Shop denn im Detail aus?

Es war eigentlich wie ein komplettes Unternehmen, bloß dass ich der einzige Angestellte war und alle Positionen übernehmen musste. Täglich mussten erst mal die E-Mails und Anfragen beantwortet werden, die Bestellungen ausgedruckt, täglich Inventur, anschließend dann der Versand vorbereitet und zur Post gebracht werden. Zwischendurch bzw. recht häufig klingelte es und ich musste in den Live-Chat, ansonsten weiter Bestellungen ausdrucken und packen. Aber auch die Produktion und Herstellung von der Ware war meine Aufgabe – abwiegen, abfüllen, verschweißen, etwa zweimal die Woche. Auch das Bestellen der Wirkstoffe, des Trägermaterials, der Aromen, aber auch des Office-Krams, also Druckerpatronen, Briefmarken und so weiter, gehörte zum Job. Zweimal die Woche musste ich außerdem das Postfach überprüfen fahren, einmal die Woche Postkisten abholen. Zusätzlich habe ich auch die Website-Pflege übernommen, Rechnungen und die Bilanz erstellt. Eigentlich war das ein Job für vier Personen, wie ich das alles geschafft habe, weiß ich selbst kaum, ich habe mich eindeutig ausnutzen lassen.

Konsumierst du selbst noch Spice und Co.?

Hatte ich und musste ich, sozusagen auch wegen der Herstellung. Lieber, ich stehe nicht mehr auf, als jemand anders, das war meine Einstellung. Aber ich bin davon zum Glück komplett weg, habe allerdings heftigste Schäden davon getragen.

Kannst du uns beschreiben, wie sich das High von Räuchermischungen vom Weed-High unterscheidet?

Es ist sehr gefährlich und unberechenbar, es kann ein angenehmes High bringen, aber auch Aggression, Ohnmacht, Trips ähnlich wie auf LSD – oder den Tod. Synthetische Cannabinoide können hundertmal stärker als das beste Cannabis sein und noch stärker. Ich kann aber sagen, obwohl ich nicht stolz auf meine Vergangenheit als Händler von Legal Highs bin, bin ich immerhin überzeugt davon, dass niemals jemand durch meine Ware gestorben ist, da ich immer einen niedrigeren Prozentsatz des Wirkstoffs beigemischt habe, als vom Auftraggeber vorgegeben war, und die Ware vor Verkauf wie gesagt selbst getestet habe.

Hast du denn von gesundheitlichen Zwischenfällen deiner Käufer erfahren?

Ja, ich habe alles erlebt und gehört, ich war quasi wie ein Psychologe für viele meiner Kunden, nicht nur Verkäufer, da ich mit allen wie Freunden gesprochen bzw. geschrieben habe. Mein Kopf ist voll mit den ganzen Geschichten der letzten Jahre, da könnte man eine ganze Serie draus drehen.

Was schätzt du: sind deinen Kunden die Gesundheitsrisiken des Konsums überhaupt bekannt gewesen? Warum kaufen sie kein richtiges Weed?

Ich persönlich habe die Kunden alle aufgeklärt, soweit es mir möglich war. Zum Glück wusste meine Auftraggeberin nichts davon, sonst hätte ich große Probleme bekommen, aber ich konnte nicht anders. Ich war immer ehrlich, was die Leute auch zu schätzen wussten. Daher wussten auch alle, dass es Gift ist, aber trotzdem haben sie es gekauft, ob wegen des Führerscheins, der Arbeit oder weil sie keine Kontakte für richtiges Gras haben. Es gibt viele Gründe. Jetzt kaufen sie es garantiert einfach woanders.

Denkt also keiner nach dem Motto „legal = harmlos“?

Doch, doch. Viele haben das gedacht, bis sie dann mit mir in Kontakt waren. Einige konnte ich umlenken, aber die meisten sind trotzdem geblieben. Es waren so viele Kunden und ich bekam meinen Sold, egal wie viel bei den Verkäufen herumkam, daher konnte ich mir erlauben, zu versuchen, die Leute aufzuklären oder sogar vom Konsum abzuhalten. Die Shop-Besitzer haben so oder so mehr als genug verdient.

Kannst du uns etwas über das Legalitäts-Wirrwarr bei den Legal Highs berichten? Sind Spice und so weiter nicht eigentlich seit einigen Jahren illegal? Oder gibt es nach wie vor Schlupflöcher?

Diesen Mist wird es auch in Hundert Jahren noch geben, völlig legal. Die Moleküle und die atomare Struktur werden immer wieder neu so verändert, dass sie wieder nicht bekannt sind und somit nicht im Arzneimittelgesetz oder dem Betäubungsmittelgesetz geführt werden. Der größte Witz ist aber das NpSG, das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz. Und es wird immer schlimmer und gefährlicher, da die Inhalte nicht mal an Tieren ausprobiert werden, bevor sie auf den Markt geworfen werden.

Welche Rolle spielt also der Aspekt, dass die Kräutermischungen legal sind, bei der Entscheidung der Kunden, diese zu kaufen – und eben nicht Marihuana?

Es ist zu 2.000 Prozent die Schuld genau dieser Politik, denn ohne dieses gestörte, verfassungswidrige Cannabis-Verbot hätten wir das Problem nicht. Sehr viele Menschen sind gestorben oder sind bis Ende ihres Lebens geschädigt. Auch ich selbst bin sehr angeschlagen, sowohl physisch als auch physisch.

Was würdest du unserer Drogenbeauftragten Daniela Ludwig gerne ins Gesicht sagen, wenn du die Chance dazu hättest?

Ich müsste mich vermutlich ganz schön zusammenreißen. Aber was ich ihr definitiv sagen würde, ist, dass ihre Vorgänger die Hände voller Blut haben und sie sehr viele Menschen ins Verderben geschickt haben, dass die Legal Highs ein Ergebnis dieser Drogenpolitik sind – und ich würde sie fragen, ob sie es wirklich verantworten kann, diesen Weg genauso weiter zu gehen.

Hattest du auch mit Pseudo-Marihuana zu tun, also regulärem, aber schwachem oder minderwertigem Weed, das mit synthetischen Cannabinoiden sozusagen „getuned“ wird?

Niemals habe ich so etwas gemacht und hätte das auch nicht. Ich finde, es ist eine Sauerei, was jetzt hier los ist, und dass Leute normales oder CBD-Gras mit dem Shit mischen. Bei Kräutermischungen, Legal Highs und so weiter weiß man im besten Fall, auf was man sich einlässt – ein Pokerspiel mit dem Teufel ums eigene Leben. Aber bei so versetztem Gras ist es mehr als fahrlässig, da man es dem Gras nicht ansieht, dass es einen umbringen kann. Man denkt, es sei normales, gutes Ganja. Ein Punkt mehr, warum ich nun versuche, etwas zu bewegen und zu verändern, damit dieser Schwachsinn mit dem Cannabis-Verbot endlich ein Ende findet.

Hast du Tipps, wie man eine Verunreinigung von Gras mit synthetischen Cannabinoiden auch ohne Labor erkennen kann?

Man kann es äußerlich einfach nicht erkennen, leider erst wenn man es konsumiert hat und es zu spät ist. Es werden leider noch viele daran sterben oder einen lebenslangen Schaden erleiden, ich selbst kenne einen Fall, der auf der Intensivstation gelandet ist, weil das Gras gepanscht war. Es gibt leider keinerlei Alarmsignale bezüglich Geruch, Konsistenz oder Aussehen von kontaminierten Blüten, wenn es Profis gemacht haben.

Glaubst du, dass eine vollständige Cannabis-Legalisierung schlecht für das Business mit den Legal Highs wäre?

Und wie! Das wäre mein Traum, denn es würde den ganzen Scheiß fast komplett vom Markt schaffen, davon bin überzeugt. Ich denke, kaum jemand würde noch Spice kaufen, wenn geprüftes, sauberes, legales Cannabis zur Verfügung stehen würde.

Und wann kommt deiner Einschätzung gemäß die Legalisierung in Deutschland?

Ganz ehrlich? Gar nicht. Wenn wir nicht richtig was dafür unternehmen, sehe ich mehr als schwarz.

Herzlichen Dank für deine offenen Worte!

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