Mehr Autounfälle nach Cannabis-Legalisierung? Das sagt die Wissenschaft

Ein Mann raucht einen Cannabis-Joint im Auto

Es ist mal wieder Zeit für ein bisschen gepflegten Cannabis-Alarmismus – das dachte sich wohl Bayerns Innenminister Joachim Herrmann und nutzte seinen Redebeitrag auf einer gerade in Ingolstadt stattfindenden Verkehrssicherheitskonferenz, um die aus seiner Sicht dramatischen Folgen einer kommenden Cannabis-Legalisierung auf die Verkehrssicherheit in Deutschland aufzuzeigen. Die Augsburger Allgemeine titelt dazu mit der Headline: „Erhöht Cannabis die Unfallzahlen? Bayerns Innenminister Herrmann warnt“ – an dem Thema ist also einiges fraglich, aber glücklicherweise scheint wenigstens Innenminister Herrmann den Durchblick zu besitzen. 

„Aus meiner Sicht sind die Pläne der ,Ampel‘ für die Verkehrssicherheit hochproblematisch. Denn bei einer Freigabe von Cannabis müssen wir mit einem Anstieg der Unfallzahlen unter Drogeneinfluss rechnen.“

Hierbei handelt es sich um eine Befürchtung, die sicherlich viele Menschen – gerade die mit mangelnder Cannabis-Erfahrung – teilen würden. Eine neues Rauschmittel für Volljährige zur freien Verfügung, das kann doch nur den verkehrstechnischen Totalschaden nach sich ziehen. Autounfälle und Cannabis-Konsum, da muss es doch eine Kausalität geben. Oder? 

Glücklicherweise sind wir Deutschen dank der Vorarbeit Nordamerikas in der günstigen Lage, auf eine solide Basis an Zahlen und Daten zurückgreifen zu können, die sich seit den entsprechenden Cannabis-Freigaben in den USA (ab 2014) und Kanada (ab 2018) angesammelt haben. Während Nordamerika damals ein Stück weit „ins Dunkle“ legalisiert hat, können wir uns hierzulande an Fragen wie die aus der Headline der Augsburger mithilfe des zahlreich vorliegenden Datenmaterials aus Übersee herantasten.

CSU-Mann Joachim Herrmann

Also, erhöht Cannabis die Zahl der Autounfälle beziehungsweise erhöht legales Cannabis sie? Denn das ist ja eigentlich der springende Punkt – die konservative Befürchtung, dass sich die Bundesrepublik mit dem Tag der Cannabis-Freigabe in ein Stoner-Sodom verwandelt. Mehr Konsumenten auf Gras, mehr Autounfälle auf Gras, so einfach ist das. Oder nicht?

Mehr Autounfälle durch Cannabis-Konsumenten?

Eher nicht. Zunächst: nicht einmal eine signifikante Zunahme der Konsumentenzahlen nach einer Legalisierung konnte in den Legalisierungsstaaten bisher wissenschaftlich nachgewiesen werden. Klar ist, dass man sich nicht akut berauscht hinters Steuer setzen sollte, was aber natürlich für alle Substanzen gilt. Genauso klar ist aber auch, dass sich ein Cannabisrausch deutlich von einem Alkoholrausch unterscheidet und man dementsprechend mit Analogien und Rückschlüssen vom Einen auf das Andere nicht zu vorschnell sein darf. Reaktionsvermögen und Aufmerksamkeit mögen zwar beide beeinträchtigen. Aber die Faktoren Selbstüberschätzung und Sorglosigkeit, die bei Alkoholfahrten eine große Rolle spielen, werden beim Cannabisrausch typischerweise durch ihre Gegenteile ersetzt. Ein Praxistest auf einer Rennstrecke im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Wissenschafts-Formats „Quarks“ zeigt dies exemplarisch auf. „Total bekifft“ neigt man zum übervorsichtigen, langsamen Fahren – und auch dazu, sich erst gar nicht ins Auto zu setzen, sondern lieber gleich auf dem heimischen Sofa zu bleiben.

Nun ist ein zehnminütiger Fernseh-Beitrag (wenn auch sorgfältig gemacht) natürlich nicht mit einer gut durchgeführten Studie ebenbürtig. Doch diese Studien existieren und sind eher weniger geeignet, Ängste zu schüren. Aus den USA kommt die best-kontrollierte und aufwändigste Arbeit zum Thema, die „Lacey“-Studie. Und siehe da: das, wovor CSU-Innenminister Hermann so dramatisch warnt, konnten die beteiligten Wissenschaftler darin nicht nachweisen.

Kanadische Wissenschaftler kamen in einer 2021 im wissenschaftlichen Magazin „Drug and Alcohol Dependence“ veröffentlichten Studie zu einem ähnlichen Schluss: „Unsere Ergebnisse zeigen jedoch keine Hinweise darauf, dass die Legalisierung mit signifikanten Veränderungen bei Verkehrsunfällen verbunden war.“ Dr. Russ Callaghan, der Studienleiter selbst, von dem auch obiges Zitat stammt, macht keinen Hehl daraus, von dem Ergebnis überrascht worden zu sein.

Es ist fraglich, ob Joachim Herrmann von der Existenz beziehungsweise den Ergebnissen der genannten Studien weiß. Aber was will man von jemandem, der 2015 den nicht anwesenden Roberto Blanco in einer ARD-Talkshow als „wunderbaren Neger“ bezeichnete, schon erwarten? Generell sollte sich die CSU bei Drogen- und Führerschein-Fragen, die über die viel beschworenen zwei Maß Weißbier hinausgehen, doch bitte tunlichst zurückhalten, um die Intelligenz der Bürger nicht zu beleidigen.

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