Reportage: Coffeeshop eröffnen – ein Traum? Einblick in den Alltag eines Coffeeshop-Managers

Coffeeshop aufmachen
Collage aus Coffeshop-Schildern

Welcher leidenschaftliche Cannabisfreund wollte nicht schon einmal einen Coffeeshop eröffnen und so das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden? Dies ist in den Niederlanden möglich und so führte uns unsere Reportage nach Südholland, denn wir wollten uns gerne einmal mit einem Coffeshop-Besitzer über seinen Beruf unterhalten und herausfinden, ob dies wirklich ein solch erstrebenswertes Berufsbild ist, wie man im ersten Moment vielleicht vermutet. Unser Autor Dr. Dope hat sich für Highway auf den Weg gemacht und das Interview geführt.

Nach langer und intensiver Vorarbeit und akribischen Recherchen ist es mir gelungen, einen Coffeeshop-Besitzer ausfindig zu machen, der bereit ist, über seinen Alltag zu erzählen. Das ist ein Novum. Denn die meisten Coffeeshop-Besitzer hüllen sich darüber in striktes Schweigen. Manchmal reden sie mit der Presse, wenn sie sich davon kostenlose Reklame für ihre Shops erhoffen. Häufig genug lehnen sie jeglichen Kontakt mit Journalisten ab, da sie wohl schon des Öfteren enttäuscht worden sind. Aber dass ein Inhaber eines Coffeeshops frei über seinen Alltag spricht, kommt nur äußert selten vor. Entsprechend langwierig waren die Vorbereitungen für diese Story.

Und was habe ich mir eigentlich vorgestellt? Mit welchen Erwartungen bin ich in die Niederlande gereist? Klar, ich bin immer wieder mal mit Coffeeshop-Besitzern in Kontakt gekommen – und das waren meistens ganz normale, vernünftige Leute. Aber nun erklärt sich ein Coffeeshop-Inhaber sogar bereit, sich über seinen Alltag, sein Geschäft und einige Geheimnisse interviewen zu lassen. Einen Coffeeshop aufmachen, was bedeutet das im Detail? Was kommt da auf einen zu? Unwillkürlich stellen sich mir während meiner Fahrt in die Niederlande viele Fragen darüber, was es heißt, einen Coffeeshop zu betreiben.

Zu Besuch im Coffeeshop

Mein Gesprächspartner wartet ab, bis eine freundliche Dame die beiden Kaffeetassen auf dem überproportional großen Schreibtisch platziert hat. Der Kaffee ist gut, stark und duftet verführerisch. Auf dem Schreibtisch stapeln sich Aktenordner, Unterlagen, Briefumschläge und Rechnungen. Alles in allem sieht der Schreibtisch systematisch geordnet aus. Als die nette Bedienung die Bürotür geschlossen hat, beginnt mein Gegenüber zu erzählen. Nennen wir ihn Mohammed. Er kommt ursprünglich aus der Schnittstelle von Orient und Okzident. Inzwischen ist er waschechter Niederländer. Aber er ist mit den Lebensbedingungen für Migranten der zweiten Generation in den Niederlanden nicht sonderlich zufrieden. „Die Chancen als Migrantenkind in den Niederlanden den sozialen Aufstieg zu schaffen, sind sehr gering“, behauptet er. „Das ist auch in Deutschland nicht so einfach“, antworte ich. Doch Mohammed kennt sich offenbar gut in Deutschland aus. Das zeigt sich nicht zuletzt an seinen deutschen Sprachkenntnissen, obwohl wir uns größtenteils auf Englisch unterhalten.

Wie kommt man dazu, einen Coffeeshop zu eröffnen?

„Doch, in Deutschland sind die Aufstiegschancen für uns viel besser. Alles ist einfacher. Da besteht schon ein gewaltiger Unterschied zu den Niederlanden“, beharrt er auf seiner Meinung. Das verwundert mich dann doch ein wenig, denn mir gegenüber sitzt kein ungebildeter Schulabbrecher, der keine anderen Optionen im Leben gehabt hätte, als einen Coffeeshop zu eröffnen. „Eigentlich war ich immer das schwarze Schaf in meiner Familie“, fährt Mohammed fort.

„Und niemand, aber auch wirklich niemand in meiner Familie wollte, dass ich einmal den Familienbetrieb, also unseren Coffeeshop, übernehme. Nach meiner wilden Phase habe ich mich aber in der Schule stabilisiert und meine Leistungen sind deutlich besser geworden. Nachdem ich dann meine Master-Arbeit an der Universität geschrieben habe, wurde ich vor eine schwerwiegende Entscheidung gestellt“, erzählt er. „Mein Vater und mein Onkel haben mir gesagt, dass sie entweder den Coffeeshop verkaufen würden oder ich ihn übernehmen müsse. So schnell ändern sich manchmal die Meinungen“, lacht Mohammed.

Coffeeshops als Familienbetrieb

Die Geschichte kommt einem nur allzu bekannt vor. Zwar nicht unbedingt mit Coffeshop-Betreibern, aber mit kleinen, heimischen Familienbetrieben. Das kennt beinahe jeder in Deutschland – die Unternehmer-Sprösslinge studieren Politik, Literatur oder sonst irgendetwas und nach dem Studium wird ihnen von den Eltern die Pistole auf die Brust gesetzt: Entweder du erhältst die lang und hart erbaute Familientradition aufrecht oder aber wir verscherbeln alles schweren Herzens an den Höchstbietenden. Das ist oft für alle Betroffenen eine knifflige Situation.

Mohammed fällte nach reiflicher Überlegung eine Entscheidung für den Familienbetrieb und die Familientradition. „Es war aber keinesfalls so, dass mir ein florierendes Imperium à la ,Scarface‘ in die Hände gefallen ist“, lacht Mohammed. „Als ich den Coffeeshop übernommen habe, lag vieles im Argen“, erzählt er weiter. „Manche der Geschäftsbeziehungen waren nicht besonders zuverlässig. Im Laufe der Zeit habe ich diese nach und nach ausgewechselt. Heute gibt es nur noch einen, maximal zwei Kontakte aus dieser Zeit.“

Ins Cannabusiness geboren

Mohammed ist ein gewisser Stolz anzumerken, dass er das „Imperium“, das er heute das Seine nennen darf, alleine aufgebaut hat. Allerdings ist er natürlich schon irgendwie in das Business hineingeboren worden: „Ich bin jetzt knapp dreißig“, kommt Mohammed ins Plaudern. „Und ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich mit diesem Geschäft, dem Cannabis-Handel, bereits über ein Vierteljahrhundert zu tun habe. Ich kann mich daran erinnern, bereits mit drei Jahren mit dem Geruch von Gras vertraut gewesen zu sein. Und als ich fünf Jahre alt war, bekam ich – beziehungsweise bekamen wir – das erste Mal ernsthaften Besuch von der niederländischen Polizei.

Mein Vater und mein Onkel haben den Laden mehrere Jahre lang mehr schlecht als recht über Wasser gehalten. Und letztlich hat mich die Verantwortung gereizt, den Laden wieder auf Vordermann zu bringen. Also haben sie mir den Laden überlassen. Und auch wenn es meistens nur in Amsterdam so ist, dass Coffeeshop-Besitzer als ein guter Beruf angesehen wird, so sehe ich das im Gegensatz zu den meisten auch für die restlichen Niederlande so. Es erfüllt mich mit Zufriedenheit, einer von knapp über 500 Coffeeshop-Inhabern in den ganzen Niederlanden zu sein.“

Einen Coffeeshop eröffnen – der beste Job der Welt?

Der durchtrainierte, sehr sportliche junge Mann lässt seine Augen über die Tischplatte gleiten. Natürlich interessiert mich jetzt besonders eine Frage. Denn mal Hand aufs Herz – wer hat noch nie davon geträumt, ein Coffeeshop-Besitzer zu sein? Also: „Ist Coffeeshop-Besitzer der beste Job der Welt? Warum oder warum nicht?“, möchte ich wissen. Er überlegt und lässt sich ein wenig Zeit mit der Antwort. „Ja, es ist nach wie vor der beste Job auf der Welt, definitiv. Es ist einerseits eine sehr privilegierte Position einer von 500 Coffeeshop-Besitzern in einem Land mit sechzehn Millionen Einwohnern zu sein. Das ist schon etwas Besonderes. Dann auf der anderen Seite ist es ein sehr intensiver Job. Und man ist alles andere als frei.“

Der letzte Teil der Antwort klingt nicht besonders verlockend, finde ich, also hake ich nach. „Wie sieht denn dein typischer Tagesablauf aus? Du musst doch bestimmt erst um 11 Uhr aufstehen, oder? Und was machst du dann den ganzen Tag lang?“ „Ich stehe sehr diszipliniert jeden Tag um 8 Uhr auf. Okay, im Moment hängt das auch damit zusammen, dass ich gerade ein kleines Kind habe, das um diese Zeit nach seinem Fläschchen verlangt. Aber anstatt mich danach wieder hinzulegen, betreibe ich jede Menge Sport. Über anderthalb Stunden lang. Spätestens um 10 Uhr bin ich dann im Coffeeshop. Dort erledige ich sehr viel Administratives, kümmere mich um die Angestellten, bezahle Rechnungen und so weiter. Wenn es gut läuft, bin ich um 15 Uhr fertig.“

9 to 5? 10 to 3?

Ich bringe zum Ausdruck, dass ich das gar nicht so schlecht finde. „Moment“, tritt Mohammed auf die Euphorie-Bremse. „Dann beginnt die Arbeit mit meinen anderen Firmen. Ich bin im Import-Export-Geschäft tätig, handle mit Immobilien und mache noch manches mehr. Das bringt mir zwar alles sehr viel Geld. Aber Geld alleine macht ja bekanntlich nicht glücklich. Und die Freizeit und Freiheit, die für viele „normale“ Bürger etwas ganz Natürliches ist, die besitze ich nicht. Das ist etwas ganz Entscheidendes, was meinem Leben fehlt: Freiheit. Und deshalb habe ich mir vorgenommen, dass ich mit 40 Jahren aufhöre und das mache, was ich möchte. Wenn ich Glück habe, kann ich derzeit am Abend vor 23 Uhr noch ein wenig Sport machen. Ich fahre sehr gerne Fahrrad.“ Ganz ehrlich, das klingt zumindest nicht nach einem wunschlosen Traumleben.

Fassade eines niederländischen Coffeeshops (Symbolbild)

„Wie wichtig ist also die ökonomische Seite für dich, Mohammed?“, frage ich ihn. „Das ist schon ein entscheidender Faktor“, gibt er zu. „Aber das ist alles nicht so einfach, wenn man einen Coffeeshop besitzt. Vor sechs Jahren hatte ich noch nicht einmal ein eigenes Bankkonto. Die Banken erlauben es uns nicht, ein normales Geschäftskonto oder Girokonto zu eröffnen. Das ist wirklich böse – keine Kartenzahlung oder ähnliches ist möglich. Also musste ich wie bei „Scarface“ mit Bündeln von Bargeld zur Bank gehen und es dort einzahlen. Natürlich war es aber nur ein Bruchteil des Geldes im Film“, lacht er. „Irgendwie ist es mir dann vor knapp einem Jahr aber doch gelungen, noch ein normales Bankkonto zu eröffnen. Aber für meinen Coffeeshop kriege ich keinerlei Darlehen. Ich kann nicht einmal eine Hypothek auf das Haus aufnehmen, in dem sich der Coffeeshop befindet.“

Gute Geschäfte?

Mohammed seufzt und macht eine Pause. „Im Prinzip ist mir gar nichts anderes übrig geblieben, als noch weitere Firmen zu eröffnen. Denn die Coffeshops in dieser Stadt sollen zwar nicht geschlossen werden, dürfen aber auch nicht expandieren. Ich kann also keinen weiteren Coffeeshop eröffnen. Also muss ich mit dem vielen Geld etwas unternehmen und es in andere Geschäfte und Geschäftsbereiche investieren. Und dann muss ich wieder verdammt aufpassen, dass ich die anderen Geschäfte nie mit denen des Coffeeshops vermische. Sonst machen sie meinen Laden sofort zu und ich habe eine Anzeige wegen Geldwäsche am Hals. Dabei waschen wir kein Geld weiß, sondern eher schwarz.“

Als ich ihn frage, wie wichtig die Getränkeverkäufe in seinem Shop sind, wiegelt er ab. Das sei eher eine technische Geschichte, denn sie würden so gut wie keinen Profit abwerfen. Es sei höchstens so, dass manche Kunden wegen der Getränke noch ein wenig länger sitzen blieben und noch ein, zwei Tütchen mehr rauchen würden, was sich dann finanziell wieder positiv bemerkbar mache.

„Und natürlich mache ich gerne Gewinn. Ein Gramm kaufe ich zwischen 4,50 und 5,40 Euro ein und muss dann steuerbedingt den Preis im Durchschnitt verdoppeln. Am meisten verdiene ich mit Northern Lights. Aber dennoch möchte ich eins ganz deutlich sagen: Was uns allen hier sehr schadet, sind europäische Touristen, die zu verschiedenen Coffeeshops gehen und überall die zulässige Höchstmenge von fünf Gramm kaufen. Dann nehmen sie zwischen 25 und 50 Gramm mit nach Hause und werden an der Grenze geschnappt. Solche Geschichten machen uns das Leben schwer. Genauso wie man das Produkt sehr vernunftgesteuert konsumieren sollte, sollte man sich auch an die herrschenden Gesetze halten. Alles andere ist in meinen Augen verantwortungslos und dumm.“

Wo kommt die Ware für den Coffeeshop her?

„Wie kommst du denn eigentlich an deine Gras- und Hasch-Connections?“, nähere ich mich schließlich dem Eingemachten. „Zunächst wurden mir wie gesagt alle Kontakte übergeben. Dann habe ich aus verschiedenen Gründen alles neu aufgebaut. Ich versuche verschiedene Wege, die Leute an mich zu binden“, berichtet Mohammed und verrät mit dann seine goldenen Regeln: „1. Nie Schulden haben und immer alles bis auf den letzten Cent bezahlen! 2. Nie Rumdiskutieren! Wenn man über den Tisch gezogen wird, muss man den Verlust wie ein Mann tragen und abschreiben. 3. Nicht allzu viele andere Prinzipien haben.“

Dann erklärt er mir, das manche Sorten besonders schwer zu besorgen sind. Zum Beispiel spezielle Hasch-Sorten, die aber bei einem Teil der Stammkundschaft beliebt sind. Und das treibt ihn an und motiviert ihn, denn er möchte gut sein, in dem was er macht, und den Leuten bieten, was sie wollen. Manchmal sei das gar nicht so einfach, denn die Zulieferer werden immer wieder mal verhaftet. So entsteht ein hohes Maß an Fluktuation. „Und ein Problem ist, dass die Qualität im Sommer nicht so gut ist wie die im Winter. Also müsste ich eigentlich alles im Winter kaufen. Das geht aber nicht, da ich dann gegen das Gesetz verstoße.“

…und wo wird sie gebunkert?

„Wie löst ihr denn überhaupt das Problem der Lagerung und des ständigen Zuflusses?“, möchte ich wissen. „Ich kann da nur generell und nicht für mich antworten. Die niederländischen Logistik-Fähigkeiten sind beachtlich. Es gibt Fälle, in denen alles in einem Auto in einer Garage gebunkert wird. Das ist sozusagen ein bewegbarer Stash. In manchen Städten nimmt die Polizei die Problematik mit den 500 Gramm, die jeder Coffeeshop ,legal‘ besitzen darf, nicht so genau. In anderen hingegen wieder sehr.

Manchmal drücken sie auch alle Augen zu, obwohl sie genau wissen, dass ein Coffeeshop-Besitzer einen Großteil der Ware über seinem Shop bunkert. Und dann gibt es da noch die geniale Lösung einer Art Terminwarengeschäft. Ich kaufe eine Ernte beziehungsweise Lieferung, aber sie bleibt in den Händen der Zulieferer, bis ich sie benötige. Damit bleibe ich legal und auf der sicheren Seite. Das ist etwas teurer und erfordert gegenseitiges Vertrauen. Manchmal lassen niederländische Richter Coffeeshop-Besitzer mit einer geringfügigen Strafe davon kommen, wenn sie mit 50 oder 100 Kilogramm erwischt werden. Es kann aber auch sein, dass man dafür ein paar Jahre in den Knast einfährt.“

Anschließend führt er noch einmal aus, was das Einmaleins beim Eröffnen eines Coffeeshops ist: Vertrauen, Respekt und keine Gier. Das gelte auch für die Angestellten seines Shops. Mohammed bezahlt ihnen mehr als nötig, damit er eine vertrauensvolle Basis mit ihnen herstellen kann. Dennoch gibt es hin und wieder Probleme mit dem Personal und dieses wechselt auch recht häufig. Zum Glück für ihn gibt es in seiner Stadt relativ wenige Coffeeshops, sodass die Konkurrenz untereinander recht gering ist und niemand dem anderen Steine in den Weg legt. Auf meine Frage hin, wen er mehr fürchte, die Polizei oder Kriminelle, schüttelt er den Kopf.

Furcht? Keine.

„Weder noch. Was mir Sorgen und Angst bereitet, sind die oberen Offiziellen – Politiker, Staatsanwälte, Richter, hohe Polizeibeamte. Die können von einem Tag auf den anderen die Entscheidung treffen, jeden beliebigen Coffeeshop zu schließen, wenn sie wollen. Da reicht als Begründung aus, dass mein Gehweg schmutzig sei. Also gilt für mich die überlebenswichtige Devise: Ich muss zu allen Seiten freundlich und politisch äußerst korrekt sein.“ – „Bestechung?“, möchte ich wissen.

Mohammed winkt ab: „Keine Chance. Das gibt es hier nicht. Ich weiß nicht, ob es so etwas bei den Zollbehörden gibt. Vielleicht, aber dann im ganz großen Stil. Eventuell gibt es auf den ganz oberen Ebenen so etwas wie ,Old-Boys-Netzwerke‘. Die kennen sich vom Studium von den Elite-Universitäten. Und die sind einander schon mal einen Gefallen schuldig. Sowas könnte hier laufen. Aber in solche Kreise kommt man gar nicht rein. Und dazu sind die Niederlande so klein und überschaubar, dass wirklich beinahe jeder alles von jedem anderen weiß. Das ist der Nachteil von solch einem kleinen und flachen Land mit wenigen Einwohnern (lacht). Jemand wie ich sollte nicht einmal im Traum daran denken. Was viel mehr hilft als jegliche Bestechung, ist quasi ein Diplom in Public Relations. Ich bemühe mich, hohe diplomatische Qualitäten an den Tag zu legen und bisher hat das immer gut funktioniert.“

Collage aus Coffee-Shop-Menüs

Auch wenn Mohammed sich weitaus größere Sorgen über Funktionäre als Kriminelle macht, berichtet er dennoch von einer Geschichte, die er erlebt hat und auf die er sicher auch gerne verzichtet hätte. Denn diese Schilderung hört sich so gar nicht nach Traumberuf oder Berufung an. Aber sie ist bittere Realität. Und zwar nicht in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo so etwas zum Alltag gehören soll, sondern mitten in Europa, ja sogar in einem der reichsten Länder Europas, den Niederlanden:

Überfall am Abend

„Sie kamen am frühen Abend. Ich war mit meiner Freundin allein zu Hause. Es ist nicht selbstverständlich, dass man schon mit Ende zwanzig ein eigenes Haus besitzt, aber es ist auch nichts Ungewöhnliches. Normalerweise mache ich kein Geheimnis aus meinem Beruf. Es gibt keinen Grund, sich dafür zu schämen. Aber ich annonciere auch nicht, wo ich wohne. Für Leute, die rauskriegen wollen, wo ich wohne, dürfte das aber dennoch kein Problem sein. Kriminelle Elemente haben ja genug Zeit und Energie, um so etwas herauszufinden. Als wir es uns vor dem Fernseher gemütlich gemacht haben, hat es an der Haustüre geklingelt. Da wir noch Besuch erwartet haben, hat meine Freundin geöffnet, ohne durch den Spion zu sehen. Und da standen dann vier Typen, furchteinflößende Schränke in schwarzen Anzügen und mit Sturmhauben an. Sie drängten meine Freundin ins Wohnzimmer und als ich ihr zur Hilfe eilen wollte, schlugen sie mich mit Brecheisen und Baseballknüppeln zusammen. Beinahe bewusstlos musste ich mit anschauen, wie die Kriminellen meine Freundin auf einem Stuhl brutal fesselten. Immer wieder habe ich versucht mich zu wehren, aber es waren zu viele und sie hatten Schlagwerkzeuge.

„Wo hast du das Zeug gebunkert?“, wollte der Anführer wissen. Kein ausländischer Akzent. Perfektes Niederländisch. Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass ich weder Gras noch Hasch im Hause hatte. Das glaubten sie mir aber nicht. So hagelte es immer wieder Schläge. Ich blutete an verschiedenen Stellen und drohte immer wieder ohnmächtig zu werden. Den Typen gelang es aber, mich bei Bewusstsein zu halten. Zwei gingen systematisch vor und durchsuchten unser Haus, während zwei uns martialisch bewachten. Das Schlimmste war, dass ich meiner Freundin nicht zu Hilfe eilen konnte. Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen die Typen zurück und schüttelten den Kopf. Kein gutes Zeichen. Aber was sollte ich machen? Selbst wenn ich gewollt hätte, hätte ich ihnen nichts anbieten können. Dann gingen die Schläge wieder los. Einer zückte ein Messer und drohte, mir zuerst mein Gesicht zu zerschneiden und sich dann zum Hals vorzuarbeiten. Aber das zog nicht.

Als sie erkannten, dass sie mich umbringen mussten, versuchten sie es mit einer anderen Strategie. Sie drohten jetzt, meine Freundin zu vergewaltigen. Plötzlich stand ich Todesängste aus. Solange nur das eigene Leben betroffen ist, kann man das aushalten. Wenn es aber um das Leben eines geliebten Menschen geht, ist das eine andere Sache. Ich habe keinerlei Zweifel, dass sie ihre Drohung wahrgemacht hätten. Und dann passierte das Wunder, das uns rettete. Die Türklingel ertönte. Unser erwarteter Besuch war da. Und da es ein wichtiger Termin war, ließ er sich nicht abwimmeln und klingelte Sturm, da er wusste, dass wir zu Hause sein mussten.

Das entmutigte dieses kriminelle Pack. Sie bekamen es mit der Angst zu tun. Und dann flüchteten sie durch die Balkontür zum Garten hinaus. Ich bin überzeugt, dass sie mich umgebracht hätten, wenn sie nicht gestört worden wären. Das waren wirklich die furchtbarsten Minuten in meinem Leben.“ Mein Gegenüber atmet tief durch und nimmt genussvoll einen Schluck Kaffee. Dennoch ist zu klar zu erkennen, wie sehr in diese Geschichte immer noch mitnimmt. Einen Coffeeshop eröffnen, das braucht Cojones!

Ärgernisse im Tagesgeschäft

Ich muss sagen, nach allem, was ich bisher gehört habe, bin ich beeindruckt, denn Mohammed entspricht so überhaupt nicht dem landläufigen Klischee-Bild von Coffeeshop-Besitzern, das einige Leute in ihren Köpfen haben. Er ist hochgebildet, besitzt perfekte Umgangsformen und ist ein wirklich netter und feiner Mensch. Zudem schimpft er darüber, dass Gras- und Haschischkonsum heute immer noch meistens mit Tabak stattfindet. Das ist seiner Meinung nach total widersinnig, da ja jeder weiß, wie gesundheitsschädlich Tabak ist. Und außerdem findet er es schrecklich, wenn Kunden es mit dem Kiffen übertreiben – ein Joint sei zum Genießen da, aber nicht um sich stundenlang ins geistige Aus zu katapultieren.

Deshalb hasst er auch die Frage vor allem touristischer Kunden, was denn das stärkste Gras sei, das sein Laden bieten könne. „Das besitzt doch keine Kultur“, schimpft Mohammed. „Ich finde, wenn man Gras oder Haschisch raucht, sollte man sich auch mit den kulturellen Ursprüngen und Ausprägungen des Konsums beschäftigen. Das machen die meisten Kiffer aber leider nicht. Und wenn man diesen soziokulturellen und auch den biologisch-organischen Mechanismus des Ganzen verstanden hat, dann kann auch ein wahrer THC-Genuss einsetzen. Aber vorher ist das meiner Meinung nach nicht möglich. Und leider besitzen die wenigsten Coffeeshop-Besucher dieses Level an Bildung und Hintergrundwissen.“

Ein weiteres Reizthema für Mohammed ist nicht etwa das Gesetz, auch wenn sein Shop praktisch jederzeit nach Belieben des Bürgermeisters geschlossen werden könnte. Dennoch ist es eine geduldete Nische, in der er sich bewegt, und die Chancen stehen auch nicht zu schlecht, dass ihm aus dieser Richtung nichts passiert. Insofern ist für ihn die Frage eines guten Rechtsbeistands zunächst einmal sekundär. „Was mich richtig wütend macht, ist die niederländische Berichterstattung über Coffeeshops“, gibt Mohammed seiner Verärgerung gegen Ende des Interviews Ausdruck. „Da schreiben Journalisten über Coffeeshops, die das letzte Mal vor über zwanzig Jahren einen von innen gesehen haben. Und dann denken sie, dass sie alles darüber wissen. Das ergibt eine völlig falsche und verzerrte Berichterstattung. Und die wirft meistens ein sehr schlechtes Licht auf uns.“

Noch eine Tüte zum Abschied

Zum Abschluss frage ich ihn, ob er gute Ratschläge für unsere Leser parat hat. Einige Leser möchten sicherlich auch einmal selbst einen Coffeeshop eröffnen. Die Antwort ist etwas überraschend, aber nach dem vorigen Gesprächsverlauf dann auch doch wieder nicht: „Man sollte die guten Dinge im Hier und Jetzt genießen. Das ist das eine. Aber das andere ist, dass gute Dinge denen widerfahren, die Ziele haben und die sehr hart für ihre Ziele arbeiten. Nur so kann man es im Leben zu etwas bringen. Und nur das, was man sich selbst erarbeitet hat, erfüllt einen mit besonderem Stolz. Daher sollten Gras und Haschisch als sehr verantwortungsbewusst eingesetzte Genussmittel dienen – und nicht nur, um high zu sein und seinen Verstand an der Garderobe abzugeben. Das Entscheidende im Leben besteht darin, sich Ziele zu stecken, für diese Ziele hart zu arbeiten und sie dann nach Möglichkeit zu erreichen. Und damit meine ich nicht nur materiellen Gewinn. Darum geht es nicht. Sondern um die Genugtuung, das erreicht zu haben, was man wollte.“

Was für ein Schlusswort. Ich bin wirklich erschlagen. Denn wie am Anfang des Artikels kurz angerissen, wusste ich nicht genau, was für ein Typ mich erwartet und ob er die Klischees bedient, von denen auch ich mich in Gedanken nicht ganz lösen konnte. Doch mein Gesprächspartner war ein junger, wohlerzogener, akademisch ausgebildeter und ehrgeiziger Geschäftsmann. Jemand, der durch sein tägliches Sport-Training körperliche Gesundheit und geistige Stabilität erlangen und erhalten möchte. Jemand, der nicht einfach nur weiche Drogen verkauft, sondern sich dafür einsetzt, dass die Konsumenten sich stärker mit dem kulturgeschichtlichen Hintergrund der Cannabispflanze beschäftigen und sie verantwortungsbewusst genießen. Aber auch jemand, der seine geschäftlich-ökonomischen Interessen sehr wohl im Blick hat und sich durch eine unternehmerische Diversifizierung gegen die mögliche Willkürherrschaft gegenüber Coffeeshops absichern möchte. Ein beeindruckendes Beispiel eines niederländischen Coffeeshop-Besitzer – wenn auch vielleicht nicht die Norm.

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