Mehr Missbrauch? Krankenkasse AOK lanciert Anti-Cannabis-Kampagne

Marihuana-Blüte in Nahaufnahme
Marihuana-Blüte in Nahaufnahme

Momentan werden die Lokalzeitungen mal wieder als Sprachrohr für eine weitere Anti-Cannabis-Kampagne genutzt. Im Zuge dessen wird die kürzlich veröffentlichte Neuauflage des jährlichen Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung als Aufhänger genutzt, während Versichertendaten der AOK die statistische Grundlage darstellen sollen. „AOK Nordschwarzwald warnt vor Verharmlosung der Droge“ erfährt man da, Headlines wie „Krankenkasse schlägt Alarm: Deutlich mehr Cannabis-Missbrauch im Kreis“ oder „Mehr Kiffer im Landkreis: Versichertendaten belegen markanten Anstieg ärztlicher Therapien“ sorgen bei Tante Uschi und Onkel Herbert wahrscheinlich schon für dicke Schweißperlen auf der Stirn. Klauen uns die suchtgeplagten Haschisch-Fixer bald etwa die preisgekrönten Hortensien aus dem Vorgarten? Der südwestdeutsche Rundfunk versucht mit der nüchternen Überschrift „Mehr Behandlungen wegen Konsums von Cannabis“ wenigstens einigermaßen neutral zu bleiben, doch das wirkliche Problem ist die allen Meldungen zugrunde liegende Pressemitteilung. Fast schon unnötig zu erwähnen, dass sie in den meisten Nachrichtenmedien einfach Wort für Wort wiedergekäut wurde.

Worum geht es im Detail? Die AOK hat beim Blick in ihre Daten einmal mehr einen Anstieg von Versicherten festgestellt, die sich aufgrund von Cannabis-Missbrauch in einer Therapie befinden. Seit Jahren, so heißt es warnend in dem PR-Dokument, steige die Zahl der Therapie-Patienten. Zum Beispiel im Landkreis Ortenau: dort befanden sich im Jahr 2019 367 Personen in einer der besagten Therapien, 2018 waren es noch etwa 300. Die Zuwachsraten mögen erwähnenswert sein, aber sind sie in Anbetracht von knapp 430.000 Einwohnern wirklich ein Grund zur Sorge?

Ein Schlüsselsatz, der eine andere Perspektive auf die Datensätze andeutet, fällt immerhin im „Schwarzwälder Boten“, und dass, obwohl er in der Pressemitteilung der AOK selbst gar nicht vorkommt. War da etwa doch mal ein echter Journalist am Werk? „Obwohl sich nur ein geringer Prozentsatz der Konsumenten wegen erheblicher gesundheitlicher Einschränkungen in Therapie befindet, […]“ kann man dort im ersten Drittel der Meldung lesen. Aha, wie hoch ist denn dieser Prozentsatz genau? Und unter welcher Art von gesundheitlicher Einschränkung leidet dann der Rest? Etwa nur unter irrelevanten Einschränkungen? Aber warum fängt man dann überhaupt erst eine Therapie an, wenn eigentlich gar kein echter Leidensdruck besteht?

Tja, hier kommt dann mal wieder der gute alte Paragraph §35 BtMG zum Tragen. Unter dem Mantra „Therapie statt Strafe“ können sich gefasste Cannabis-Delinquenten zu einer Therapie verpflichten, um ihr Strafmaß zu verkürzen bzw. dem Gefängnis ganz zu entgehen. Dass die Pressemitteilung der AOK wenig ernstzunehmend ist, sieht man daran, dass nicht ein einziges Wort zum Komplex §35 fällt bzw. keinerlei Differenzierung der Fallzahlen vorgenommen wird. Damit entlarvt sich der Text nur als weiteres Desinformationsprodukt, das die zunehmende Akzeptanz gegenüber Cannabis (das in der PM übrigens erschreckend naiv „Psychodroge“ genannt wird) in der Gesellschaft zu sabotieren versucht.

Auf Anfrage konnte oder wollte uns die AOK leider keine konkreten Daten zukommen lassen. Aber zum Glück gibt es da ja noch den Bund. Und siehe da: das Bundesgesundheitsministerium selbst schätzt die Häufigkeit der Anwendung von §35 folgendermaßen ein: „Die überwiegende Mehrheit der Patientinnen und Patienten befindet sich auf Grundlage einer strafrechtlichen Sanktion in der Drogenbehandlung, […].“

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